Das Haeßler-Villinger-Muskelkraftflugzeug.
Von Ing. Helmut Haeßler, Weimar.
Das Haeßler-Villinger-Muskelkraftflugzeug wurde speziell für die Erfüllung der Abnahmebedingungen der Wettbewerbskommission der Polytechnischen Ges. in Frankfurt
a. M. entworfen und gebaut. Es weist daher eine Reihe neuer Konstruktionsmerkmale auf, die durch die besonderen Verhältnisse im Muskelkraftflug und der
Ausschreibung notwendig wurden.
Um den geringst möglichen Leistungsbedarf zu erzielen, wurde besonderer Wert auf das Erreichen geringsten Gewichts und geringster Sinkgeschwindigkeit gelegt. Die
geringe Sinkgeschwindigkeit von 0,52 m/sec wurde durch geringe Flächenbelastung (10 kg/m2), große Spannweite (13,5 m) und günstiges Seitenverhältnis (1:18)
erzielt.
Der Flügel wurde auf jeder Seite mit 3 Profildrähten verspannt, um geringe Holmgewichte und genügende Steifigkeit zu erzielen. Der Vorteil der Gewichtsersparnis ist
hierbei größer als der Nachteil des zusätzlichen Widerstandes. Flügelaufbau einholmig mit leichtem Hilfsholm und Sperrholztorsionsnase. Rippenabstand 200 mm,
Flügeltiefe 760 mm, Profil innen G 535, außen G 409.
Rumpf: vorn sechseckig, übergehend in einen viereckigen Querschnitt, mit 0,8 mm Sperrholz beplankt. Führersitz vollkommen geschlossen, Einstieg Öffnung durch
Cellonfenster abgedeckt. Der Rumpfquerschnitt beträgt 0,33 m2 (größte Breite 560 mm), trotzdem hat der Pilot die notwendige Bewegungsfreiheit für das Treten der
Pedale, über welche die Muskelkraft abgegeben wird. Dicht vor dem Flügel ist der Propellerbock angeordnet, der gleichzeitig als Spannturm dient. Durch ihn hindurch ist
ein von uns entwickelter Spezialriementrieb an die Propellerwelle geführt, die in zv/ei Kugellagern läuft. Die Luftschraube dreht sich mit 500 U/min. Bei einem
Durchmesser von 1,5 m und einer Körperleistung von 0,9 PS v/urde ein Wirkungsgrad von 0,82 erreicht.
Da die Füße die Pedale zu betätigen haben, mußte die Bedienung des Seitensteuers mit in die Handsteuerung verlegt werden. Nach einigen Aenderungen, die sich aus
den Erfahrungen des Flugbetriebes ergaben (es v/urden über 150 Muskelkraftflüge durchgeführt) können wir heute feststellen, daß dieses heikle Problem zur vollsten
Zufriedenheit gelöst v/orden ist.
Die Höhensteuerung erfolgte bei der ersten Ausführung durch Verändern des Anstellwinkels der Tragfläche. Da die Flugergebnisse mit dieser Steuerung nicht
befriedigten, wurde ein normales gedämpftes Höhensteuer eingebaut.
Die Quersteuerung erfolgt ohne besondere Klappen lediglich durch v/echselseitiges Verändern der Anstellwinkel der Tragflächenhälften. Diese Steuerungsart hat sich
namentlich bei den geringsten Fluggeschwindigkeiten unter 40 km/h gut bewährt und hat manchen Bruch bei Fehlstarts verhüten helfen. Das Fehlen besonderer
Querruder wirkt sich gewichtlich sehr günstig aus.
Die Ausbildung des Seitenruders ist normal, neu ist nur die Betätigung durch die Hände.
Da in der Ausschreibung der Polytechnischen Gesellschaft die Ausführung des Startes durch die Muskelkraft des Piloten gefordert v/ird, wobei die Muskelkraft vorher
gespeichert werden darf, wenn der Energiespeicher im Fluge mitgenommen v/ird, v/urde folgende Startart vorgesehen:
Der Start erfolgt durch ein Gummiseil, v/elches vom Piloten selbst gespannt v/ird. Zu diesem Zweck v/ird das Flugzeug durch eine in den Rumpf einziehbare Ankernadel am Erdboden verankert. Das Startseil ist in mehrere dünne Einzelseile unterteilt, die nacheinander ausgezogen werden und in einen etwa
30 Meter vor dem Flugzeug befindlichen zweiten Erdanker eingehängt werden. Danach setzt sich der Flieger in den Führersitz, schnallt seine Füße an den Pedalen fest,
und zieht mit einem Auslösehebel die Ankernadel aus dem Boden. Nachdem das Flugzeug die erforderliche Höhe erreicht hat und die Spannung in dem Gummiseil auf
einen gewissen Grad gesunken ist, löst sich der zweite Erdanker automatisch aus dem Boden. Ein vor dem Start im Flugzeugrumpf gespanntes Gummiseil windet nun das
freie Startseil automatisch auf eine im Rumpfbug befindliche Startseilwinde. Das Gummiseil zum Aufwinden des Startseiles belastet den Rumpf mit
einer Zugkraft von 400 kg. Um ein genügend kurzes und leichtes Startseil zu erhalten, wird ein Spezialseil um 600% gedehnt.
Da die für den Aufwindevorgang erforderliche Höhe nur bei starkem Gegenwind erreicht werden kann, die Versuchsflüge in Frankfurt jedoch bei ruhigem Wetter
ausgeführt wurden, v/urde auf die Mitnahme des Startseiles verzichtet, und ein entsprechender Ballast in den Rumpfbug eingebaut. Nach Ueberv/indung einiger
anfänglicher Schv/ierigkeiten hat diese neue Startart ohne Mannschaft voll befriedigt.
Zu dem Leergewicht von 35 kg kommt das Gev/icht der StartseiIv/inde und des Startseiles mit 10 kg, so daß das Rüstgev/icht sich auf 45 kg stellt. Er-flogene Gleitzahl 1
24. Es ergibt sich bei obigen Werten ein Schwebeleistungsbedarf von 0,94 PS. Diese Leistung kann von einem trainierten Radrennfahrer 30 Sekunden aufgebracht,
werden, so daß sich bei einer Fluggeschv/indigkeit von 12,5 m/sec eine im horizontalen Muskelkraftflug erreichbare Strecke von ca. 400 m ergibt. Diese Strecke kann
durch den StartAseilschwung, durch die Start-I höhen bis zu 3 m erreicht werden, um 90 m verlängert v/erden. Diese zusätzliche Strecke wird jedoch durch den
vorhandenen Gegenwind meist wieder ausgeglichen.
Spannv/eite 13,5 m, Länge 5,55 m, Höhe 1,82 m, Fläche 9,65 m2, Leergewicht (ohne Startsei Iv/inde) 35 kg, Rüstgev/icht 46 kg, Zuladung rd. 65 kg. Fluggev/icht 111 kg,
beste Gleitzahl 1 :24, Mindestsinkgeschv/indigkeit 0,52 m/sec, beste Fluggeschv/indigkeit 45 km/h. Lastvielfaches im A-Fall 6. Beste bisher erflogene Leistung 427 m.
[Les Ailes No 839 du 15.07.1937]
712 Meters in muscle flight!
… This is the performance achieved on July 4 in Meiningen by the German pilot Hofmann
Muscle flying continues to be talked about in Germany. We remember that on November 21, 1936, at Hamburg airport, the pilot Heinrich Hofmann traveled 427 meters with the device studied and built by the engineers Helmut, Haessler and Villinger. This performance, which was officially controlled by the members of the Lilienthal Committee, was considered, in the opinion of the producers of the device, as the maximum that it was possible to draw from this machine. We have to believe, however, that we succeeded in imagining new and important improvements, or that we benefited from very favorable aerological conditions, because we learned that on July 4 last, in Meiningen, in the presence of official personalities and many spectators, Hofmann manages to cover 712 meters in muscular flight.
The principle consists in being launched in catapult by a bungee cord that the pilot tightens himself and takes with him as well as all the anchoring devices, in such a way that the glider is considered as leaving well by its own means. As soon as the aircraft is in the air, the flight is continued by means of a propeller that the pilot drives by pedaling.
The means allowing the realization of this program reside mainly in the construction of an ultra-light and extremely fine glider, having the lowest possible speed of fall and, therefore, requiring the minimum of power. Haessler and Villinger have succeeded in this tour de force of building a flying machine of 13m50 with a wingspan of 9.65m2 and a glide ratio of 19, with control surfaces and propellers for the incredible weight of 35 kg. Obviously, the safety factor should not be very high; however, the machine looks solid and it has held up well to nearly 200 launches.
The wing features a monospar with plywood leading edge and an auxiliary spar; ribs arranged every 20 cm.; profiles G-535 inside and G-409 on the ends; guying by two pairs of three flexible cables. The warping is obtained by modifying the incident of each half-wing; there are no fins; this system has proven to be particularly effective below 40 km. and he saved the “canopy” during numerous false starts. The depth plane is mounted on the rudder.
As the rider's feet are occupied with pedaling, steering control has been put in their hands, along with depth and warping; this arrangement, proven by long experimentation, seems well developed and practical. The fuselage, 5m55 long, is pentagonal in section, with five longerons. Its master frame of 0.33 m2 allows, despite its narrowness, sufficient freedom of movement.
The motor system is divided into two parts: the start, the flight.
For the start, the pilot anchors his device in the ground, by a peg that he can withdraw with a lever. On the other hand, 30 meters ahead, it anchors the end of a rubber band with multiple strands capable of an elongation of 600%. Installed in his position, he stretches this starting rubber band until the traction reaches 400 kg. So it unhooks from the ground and takes off. As soon as the tension in the bungee cord decreases, the anchorage of the latter comes undone on its own, which makes it possible to wind the bungee cord on a winch carried by the glider and driven by means of an auxiliary bungee cord stretched beforehand in the fuselage .
Once in the air, the pilot pedals; by a special multiplication from 1 to 5. It drives a propeller 1m50 in diameter at 500 revolutions per minute, which involves a little less than two revolutions of the crankset per second. The tests carried out with a motor power of 0.9 CV. resulted in a propeller efficiency of 0.82.
The muscle glider weighs 35 kg. empty, plus 10 kg. bungee cord and re-entry winch. It should be noted that this system, which allowed the launching device to be carried, was not used in practice, but was replaced by corresponding ballast. With a pilot of 65 kg., the total weight reaches 111 kg., and the load per square meter 11 kg. 5.
As the finesse of the muscle glider is 24. we arrive at the very low speed of fall of 0m52 per second; the power required for horizontal flight is therefore 0.94 HP. Hofmann is capable, it seems, of supplying this power for 30 seconds; but that's the most you can ask of him. We can therefore see that the flight speed being 12 m.-sec. (43 km.-h), the longest possible route is 400 meters.
By climbing to three or four meters at the start, thanks to a headwind, you lengthen the trajectory by 90 to 100 meters; but the influence of the wind must also be taken into account and the final result is hardly changed.
In our opinion, if the record was raised to 712 meters, it was due to a thermal flight effect. Moreover, muscular flight can only succeed if it succeeds in linking up with gliding; but, for that, it will be necessary to reinforce the machine, because we do not see at all a glider of 13 meters of wingspan and 35 kg. in front of a storm front. However, by strengthening, we will weigh down and we will go beyond the very precise technical limits set for successful muscle flight. As we can see, the problem is still far from being solved.
Be that as it may, and despite the value of his performances, Hofmann has not yet won the 10,000 mark prize created by the Frankfurt Polytechnic Society; because for that, he has to cover a kilometer by making a circuit around two milestones 500 meters apart. But it seems that engineers Haessler and Villinger are going to build him a more solid glider which, with favorable aerological conditions, will perhaps make it possible to satisfy these conditions, which cannot be done at present.